Montag, 9. September 2013

Eine alte Schulaufgabe - Cum tacent, clamant



Eine Katze erzählt: „Wenn sie meine Geschichte tatsächlich hören wollen – und ich empfehle Ihnen eindringlich, sie zu hören -  so müssen Sie sich zunächst mit dem Gedanken vertraut machen, daß Sie keine angenehme Geschichte hören werden. Im Gegenteil, die mysteriösen Geschehnisse, durch die ich mich im vorigen Herbst und Winter hindurchquälen musste, ließen mir endgültig bewusst werden, dass Harmonie und ein geruhsames Leben selbst für meinesgleichen eine Angelegenheit von kurzer Dauer sind. Heute weiß ich, dass vor dem allgegenwärtigen Horror niemand verschont bleibt und dass das Chaos jeden Augenblick über uns hereinbrechen kann. Doch bevor ich Gefahr laufe, einen langweiligen Vortrag über die finsteren Abgründe unseres Daseins zu halten, erzähle ich sie besser, die Geschichte – eine traurige und eine böse Geschichte.“



Zuerst jedoch muss ich Sie davon überzeugen, dass ich keine gewöhnliche Katze bin, denn es würde Ihr Bild von der meinigen Rasse, eine der edelsten Rassen, die es auf diesem Planeten gibt, lediglich trüben und Sie annehmen lassen, dass selbst Ihre normale Hauskatze in der Lage wäre, Sie auf die bevorstehenden Ereignisse hinzuweisen, welches mir fast lächerlich erscheint, denn Sie haben Ihre Katze sicherlich nicht in Gesellschaftswissenschaften und Ihrer eigenen Sprache unterrichtet. Ich jedoch, geboren als kleines Kätzchen, wurde schon früh dazu auserkoren, einmal eine größere Rolle im Spiel des Lebens einzunehmen, als meine allseits geliebten Artgenossen. Deshalb wurde ich mit wenigen Wochen in die örtliche Universität gebracht, wo ich als eine Art Versuch fungierte, denn mein Ziehvater, welcher selbstverständlich und auch ironischerweise ein Mensch war, wollte beweisen, dass auch seine Artgenossen jederzeit geistig von Tieren überholt werden konnten, mit denen Sie ja oft genug verglichen wurden. Nun also kurz gesagt: Er wollte demonstrieren, dass ich, eine Katze, genauso gut, wenn nicht sogar besser in der Lage bin etwas zu lernen, als ein Mensch. Es wird Ihnen sicherlich im ersten Moment unmöglich und unsinnig vorkommen, aber bedenken Sie bitte, wenn dieser Versuch etwas Unsinniges an sich gehabt hätte, wie könnte ich dann heute vor Ihnen stehen?

Wie ich also schon erwähnte, studierte ich verschiedene Gesellschaftswissenschaften, wobei mich vor allem die philosophischen Schriften und die Ägyptologie faszinierten, denn sie zeugen von wahrer menschlicher Größe und mathematischer Präzision, wenn man sich nur einmal die Pyramiden anschaut. Doch bevor ich Sie zu sehr mit Fachwissen ermüde, möchte ich nun endlich mit dem Anfang meiner Geschichte beginnen:

Sie ereignete sich zu einer ungewöhnlichen Zeit, in der Wissen immer wertvoller wurde, da wurde auf unerklärliche Weise, die Forschungseinrichtung, in der ich lebte, vom Feuer verschlungen. Natürlich konnte niemand sich erklären, wie dieses passieren konnte. Wie war es bloß möglich gewesen, ein Gebäude in Brand zu setzen, in dem doch so viele leicht entzündliche Materialien so gut aufbewahrt waren? Es musste ein Unfall gewesen sein, wie sonst hätte man das Ignorieren des mit Gewalt geöffneten Chemikalienschranks und der Überreste des Feuerzeugs besser erklären können. Selbst mir schien dieses sehr logisch, wenn man nur die halbe Beweislage betrachtete, denn Sie müssen sich doch auch selbst eingestehen, es erleichterte der Polizei die Arbeit enorm. Jedoch stand nun auch eines fest: die Forschungseinrichtung war sehr schwer beschädigt und das nötige Geld fehlte, um sie schnellstmöglich wieder aufzubauen. Weshalb ich mich mit einem schweren Problem konfrontiert sah. Mein Ziehvater war dem Brand zum Opfer gefallen und obwohl ich ihn wirklich schmerzlichst vermisste, musste ich doch zuerst an mich selbst denken. Ich wusste, dass man mich bald in ein Tierheim bringen würde, da man für mich keine Verwendung mehr hatte, schließlich war das Versuchsprojekt mit dem Projektleiter selbst gestorben. Wo sollte ich also hin? Sicherlich werden Sie in meiner Notlage, in der ich mich damals befand, kein ernsthaftes Problem sehen, schließlich bin ich eine Katze und die leben oft auf der Straße, doch stellen Sie sich doch nur einmal kurz vor, sie würden in einem Haus mitten im Dschungel aufgezogen werden. Wie das Haus niederbrennt, sind sie gezwungen im Dschungel selbst zu leben, was für Sie ja theoretisch ein leichtes sein muss, da sie ja laut Darwin vom Affen abstammen.

Nun verstehen Sie vielleicht meine missliche Lage besser. Ich wurde also durch ein einziges Ereignis Waise und obdachlos, jedoch nicht mutlos, denn ich fühlte mich durch mein Studium der alten Schriften bestens gewappnet für mein Leben in der Wirklichkeit. So ging ich in die Welt hinaus, mit bester Hoffnung und musste doch bald feststellen, dass mir all dieses Wissen, welches ich mir über die Jahre angeeignet hatte, überhaupt nichts nützte. So konnte ich zwar fließend Latein und Griechisch sowie etwas Aramäisch, jedoch verstand ich kein Wort von dem, was die Menschen von niedriger Statur sagten, obwohl ich mir sicher war, dass es der deutschen Sprache doch sehr ähnelte. Ich muss jedoch nochmals feststellen, dass mich gerade diese Menschen von niedriger Statur sehr faszinierten, denn wenn ich einige von ihnen beobachtete, musste ich mir doch manchmal eingestehen, dass Darwin mit seiner Menschenaffentheorie vielleicht doch Recht haben könnte. Es bestand nämlich auch ein großer Unterschied zwischen diesen kleinen und den etwas größeren Menschen, nicht nur im Aussehen, sondern auch im Verhalten. Wenn ich zum Beispiel einen größeren Menschen nach dem Weg fragte, so bekam ich einen schockierten Gesichtsausdruck als Antwort, fragte ich jedoch einen kleineren Menschen, so hob man mich hoch, schüttelte mich und suchte nach dem „Batterienfach“, was auch immer das sein möge.

Ich lernte sehr schnell Ihre Welt kennen und musste doch feststellen, dass Sie sich gar nicht so sehr von meinen Artgenossen unterschieden, denn Sie leben auch nur noch für Ihre Nahrung und einen Platz zum schlafen. Auf Kommunikation mit Ihren Artgenossen konnte ich wenig hoffen, denn entweder verstand ich ihre Sprache nicht oder musste feststellen, dass sie sich lieber mit einem ihrer komischen Geräte unterhielten, die entweder an ihren Ohren oder an ihren Händen festzukleben schienen.

Nun haben Sie das Traurige meiner Geschichte ja schon gehört, denn es war der Brand und der Tod meines Ziehvaters. Das Schreckliche jedoch, war die Erkenntnis. Die Erkenntnis, dass die glanzvolle Zeit der Menschen sich dem Ende zu neigen scheint, denn sie scheinen nur Marionetten ihrer eigenen Technik zu sein und den Wert von Wissen verloren zu haben. Für Sie mag es sich vielleicht eher harmlos anhören, jedoch sind selbst Sie gerade im Begriff, Maschinen intelligenter werden zu lassen, als Sie es selbst sind und genau darin besteht die Gefahr. Ich nehme an, jeder von Ihnen möchte gern Herr über sein eigenes Leben sein, warum jedoch machen Sie sich dann so abhängig und werden selbst zum Sklaven der Konsumgesellschaft? Es ist nicht nur die Veränderung selbst, die mich so besorgt, nein, es ist das Wissen, dass jeder von Ihnen als Mensch im Begriff ist, Fähigkeiten zu verlernen, für die ich sie sehr geschätzt habe während meines Studiums. Denn sie waren in der Lage für sich selbst zu sorgen, Nahrung herzustellen und sich mit einfachsten Mitteln zurechtzufinden, während ich tagelang hungern durfte, wenn mal wieder jemand vergessen hatte das Haustier zu füttern. Ich war vollkommen abhängig von den Personen, die mir etwas zu essen gaben und träumte oft davon, eines Tages selbst dazu in der Lage zu sein, damit es mir an nichts mangeln musste.

Natürlich müssen Sie mir nicht glauben. Ich bin schließlich nur eine Katze. Jedoch habe ich Ihre Welt schon sehr gut kennen gelernt und weiß, woher Sie Ihre Nahrung bekommen.
Nun bin ich jedoch eine Katze, die sich selbst ernähren und für ihre Familie sorgen kann. Wann fangen Sie endlich damit an?

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