Das Altersheim in Dubenhausen ist ein beschauliches kleines
Gebäude mit wenig Personal. Winfred, ein alter Senior schaute eines Tages bei
der Nachmittagsrunde Skat aus dem Fenster. Wie gerne würde er jetzt doch die
Nordsee sehen, das Meer. Vertieft in
seine Gedanken, fällt ihm plötzlich etwas ein: Ich will an die Nordsee,
ich komme an die Nordsee. Also steht er auf, schreit durch den Raum „Ich fahre
an die Nordsee!“ und ist auch schon auf dem Weg in sein Zimmer, um sich für die
Reise zu wappnen. Unten im Aufenthaltsraum herrscht inzwischen große Aufregung.
„Habt ihr das gehört? Der will ans Meer!“, schnaubt Edgar verächtlich. Heidrun
fragt mit lauter Stimme: „Der will an’s Wehr?“. Monika, die gerade wieder zu
sich kommt nach ihrem Nickerchen hört nur, dass alle ans Meer fahren, freut
sich riesig, springt auf und rennt durch die Zimmer, um allen Bescheid zu
sagen. Helle Aufregung! Endlich ein Ausflug! Alle freuen sich, manche stürmen
in ihre Zimmer, packen ganze Reisekoffer, andere rufen ihre Verwandten an und
fragen nach der Adresse, um ihnen eine Karte zu schicken. Oskar fühlt sich nur
wie auf einem Bahnhof. So viele fremde
Menschen, schaut auf sein Armband, da steht, Zimmer 67 gehört mir und
beschließt es zu suchen. Pflegerin Agatha kommt hinein, um zu schauen, ob alles
in Ordnung ist. So laut, war es hier noch nie. Monika kommt ihr entgegen: „Was
soll ich anziehen, was für Wetter ist am Meer? Kommen Sie auch mit? Karl sagt,
es sind nur zwanzig Minuten zu Fuß.“ Agatha weiß gar nicht, was sie sagen soll.
Wer hat den Alten denn das eingeredet? Sie geht zu der Chefin, um nachzufragen,
ob sie wirklich alle ans Meer fahren.
Heidrun, immer noch in der Ecke sitzend ruft laut: „Schauen wir uns jetzt Bären
an oder gehen wir uns Speere angucken?“ Noch größere Aufregung. Erst fahren sie
zum Meer, dann in den Zoo und wenn sie es schaffen, schauen sie noch im Historischen
Museum vorbei. Große Freude macht sich breit. Monika steht schon mit Kamera und
warmem Mantel vor der Tür und erzählt
den Passanten von dem großen Ausflug, den das Heim geplant hat. Da kommen auch
schon fünf weitere Senioren aus dem Altersheim und machen sich auf den Weg zur
Bushaltestelle. Edgar schaut: Emden, Hamburg, Norden. Nirgendwo steht „Meer“.
Inzwischen hat Agtha von dem Vorfall berichtet und nun ist auch die Chefin in
großer Aufregung. Die hauen einfach ab! Schnell stürmt sie nach draußen, um die
Senioren aufzuhalten, doch es ist zu spät. Monika in ihrer überzeugenden Art
hat dem Busfahrer alles erzählt und der in seiner liebenswürdigen freundlichen
Art bringt die Sippe nun zur Nordsee. In bester Laune sitzen die Alten auf
ihren Plätzen und erzählen ganz aufgeregt miteinander. Dreißig Minuten später
sind sie an einem Ort, von dem der Busfahrer ihnen versichert hat, dass das die
Nordsee sei, aber da ist überhaupt nichts! Nur nasser Sand soweit das Auge
reicht. Enttäuscht macht Monika trotzdem Fotos. Das ist zwar nicht das Meer
aber die größte Sandfläche, die sie jemals gesehen hat. Im Restaurant auf einem
Hügel vor dem Meer schüttelt ein Gast nur den Kopf. Eine Gruppe alter
Urlaubertouristen steht da und fotografiert die Ebbelandschaft.
Auch Winfred ist nun endlich fertig. Mit kleiner
Tasche und Fotoapparat geht er die Treppe zur Eingangstür hinunter, doch Agatha
ist schneller und versperrt ihm den Weg. „Oh nein Herr Mührle, alle anderen
sind weg und meine Kolleginnen und ich müssen sie nun suchen. Bleiben Sie bitte
solange auf Ihrem Zimmer“, fordert sie ihn mit einem gespielten Lächeln auf. So
ein Ärger! Wie gern hätte Winfred die Nordsee gesehen, mit ihren Gezeiten.
Eine nette Geschichte, mit Tiefgang. Unterhaltsam und lustig erzählt. Gefällt mit wirklich gut!
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