Montag, 26. August 2013

Der Zauber der guten Tat



Auf dieser Welt geschehen so viele schlimme Dinge, dass wir niemals die Menschen vergessen dürfen, die diese Welt zu einer besseren gemacht haben. Denn wer nur die schlechten Dinge auf dieser Welt sieht, verliert die Freude am Leben, denn lohnt es sich wirklich in einer schlechten Welt zu leben?
Immer werde ich die guten Dinge auf dieser Welt sehen, ohne die Schlechten jedoch zu vergessen oder zu ignorieren. Und niemals werde ich den Mann vergessen, der meine Welt gerettet hat. Wie kam es dazu? Ich begriff es selbst lange nicht, jedoch wird man mit dem Alter weise und so begann ich nach einigen Jahren doch zu verstehen, was dieser Mann mir damals sagen wollte. Und dies ist unsere Geschichte.
Ich war noch ein Kind gewesen, auch wenn ich es mit meinen sechzehn Jahren noch nicht glauben konnte, denn in diesem Alter wird niemand gern als Kind bezeichnet. Man kann sich einfach nicht eingestehen, dass man eigentlich noch ein Kind ist, welches eher zufällig als „erwachsen“ bezeichnet wird. Und genauso jemand war ich. Mein Leben hatte quasi erst jetzt richtig begonnen und ich fühlte mich frei und vor Energie strotzend, denn ich hatte so viele Träume, so viele Pläne. Natürlich nutzte ich diese Freiheit und saß abends stundenlang mit meinen Freunden im Café. Wir erzählten und lachten viel, lästerten über Mädchen und tranken ein paar Gläser Cola. Oft blieben wir, bis die Kellnerin uns darauf aufmerksam machte, dass das Café jetzt schließen wolle. Irgendwann fiel mir auf, dass immer kurz vor Ladenschluss ein älterer Mann herein kam und fast alles kaufte, was noch übrig war. Jedes Mal ging er mit drei bis vier vollen Beuteln wieder heraus. Dies war eindeutig zu viel, um es allein zu essen, also nahm ich an, dass er eine sehr große Familie hatte. Irgendwann kam mir das alles jedoch nicht mehr merkwürdig vor und ich begann, nicht weiter über diesen Mann nachzudenken. Eines Abends jedoch ergab es sich, dass ich ungefähr zur gleichen Zeit wie der ältere Mann das Café verließ, da ich etwas früher heim gehen wollte, um einmal pünktlich zum Abendessen Zuhause zu sein. Der ältere Mann und ich gingen in die gleiche Richtung bis ihm plötzlich einer der Beutel riss und ein paar Brötchen herauskullerten. Sehr bedrückt drehte der Mann sich um und ehe er sich bücken konnte, hatte ich schon fast alle Brötchen wieder aufgesammelt. Dankbar schaute der Mann mich an, dann übergab er mir den kaputten Beutel und bat mich, die Brötchen wieder hineinzutun und ihm zu helfen. Also trug ich den Beutel vorsichtig und hielt ihn dort zu, wo er gerissen war. Wir gingen in ein sehr armes und heruntergekommenes Viertel der Stadt, wo der Mann jedes Mal, wenn er einen Obdachlosen sah, stehen blieb und ihm etwas aus den Beuteln gab. Dankbar schauten diese Leute uns an, manche hatten sogar Tränen in den Augen, Andere segneten uns oder unterhielten sich mit dem Mann, als würden sie ihn schon ewig kennen. Ich jedoch verstand die ganze Sache nicht.
„Warum geben sie all ihre Lebensmittel weg?“, fragte ich ihn.
„Weil ich selbst genug besitze.“, antwortete er.
„Das heißt, sie kommen jeden Abend in das Café um Essen für Andere zu kaufen?“
„Ja, weißt du denn nicht, was sonst mit diesen Lebensmitteln passieren würde? Sie würden weggeschmissen werden und das, obwohl es auf dieser Welt genug Menschen gibt, welche tagtäglich Hunger leiden. Ich finde es einfach nur paradox, denn es gäbe eine so einfache Lösung dafür. Aber man wirft diese Dinge lieber weg, da sie keinen Gewinn mehr bringen und man sie am nächsten Tag nicht mehr verkaufen kann, als dass man sie armen Menschen gibt“, meinte der ältere Mann.
„Aber sie geben dann jeden Tag eine große Menge an Geld aus und bekommen nichts dafür zurück.“
„Doch ich bekomme viel mehr zurück, als ich überhaupt geben konnte. Ich bekomme ein Lächeln, ich bekomme Freudentränen, Dankbarkeit und das Wissen, dass ich so viel verändere, wie nur wenige Menschen es in ihrem Leben tun.“
Wieder wurde ich skeptisch. „Was verändern Sie denn? Sie geben diesen Menschen zwar etwas zu Essen, aber dadurch ist doch nicht gesichert, dass sie immer satt sein werden. Was passiert, wenn Sie einmal nicht mehr sind? Dann leiden diese Menschen wieder Hunger.“
„Da hast du recht. Ich lehre diese Menschen dadurch nicht, wie sie sich selbstständig täglich ernähren können und auf eigenen Füßen stehen können, aber ich zeige ihnen, dass diese Welt gar nicht so schlecht ist, wie sie vielleicht denken. Ich gebe ihnen einen Funken Hoffnung und die Möglichkeit, einen weiteren Tag satt einzuschlafen. Und ich verändere auch dich, ohne dass du es vielleicht merkst.“, erklärte er und warf mir einen freundlichen Blick zu, der mir verriet, dass dieser Mensch vollkommen glücklich war.
Ich war verwirrt. Wie sollte dieser Mann mich verändert haben? Die ganze Nacht dachte ich darüber nach und auch noch viele weitere Nächte. Ständig dachte ich an diesen Mann, bis ich eines Tages beschloss, dem Mann wieder dabei zu helfen, das Brot zu verteilen. Fast jeden Abend begleitete ich diesen Mann nun bei seinem abendlichen Gang in ein armes Viertel und wir wurden bald sehr gute Freunde. Irgendwann begann ich, diesen Mann zu verstehen. Jeden Abend gab dieser Mann sehr viel Geld aus, vielleicht sogar gerade einmal so viel, wie er überhaupt an diesem Tag verdient hatte und kam doch als reicher und glücklicher Mann nachhause. Er hatte die Welt so vieler Menschen gerettet und die Welt ein kleines Stück mehr zu einer besseren gemacht, denn er war auch ein Vorbild für viele Menschen. Auch ich durfte dieses Gefühl oft erleben und musste feststellen, dass der alte Mann recht gehabt hatte, als er sagte, dass er mich verändert hatte, denn auch heute noch kann man einen Mann mit Beuteln voller Lebensmitteln auf dem Weg in die ärmsten Viertel der Stadt sehen, nur ist es heute nicht mehr der alte Mann meiner Jugend. Ich selbst bin es.


© Jennifer Ander

1 Kommentar:

  1. Eine sehr schöne Geschichte. Ein ernstzunehmendes Problem in einer "kuschligen" Verpackung versteckt.

    Find ich sehr gut!

    Liebe Grüße
    Franzi

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