Es war wieder soweit. Heute Morgen hatte sie es gespürt und
sofort gewusst, dass es in diesem Jahr keine Ausnahme geben würde. Es war
dieses Gefühl von Aufregung, dass sich in ihre breit machte und ihr, gleich wie
einem Tier, bekannt gab, dass das Jahr sich dem Ende neigte. Ein Gefühl, das
gleichzeitig Trauer hervorrief und sie hoffte, sich nach all den Jahren
allmählich daran gewöhnt zu haben, doch jedes Mal weiteten sich ihre Augen und
ein Funken Furcht war darin zu sehen. Der Dezember nahte, schon wieder. Die
Natur hatte sich schon darauf eingestellt und die Bäume warfen alle Blätter von
sich, da sie diese niemals mit hinübernehmen durften. So war es Gesetz und so
würde es bleiben. Man durfte nichts mit hinübernehmen in das neue Jahr, keine
Sorgen, keine schwere Last. Viele hatten es versucht und sie alle waren gescheitert.
Denn man ging allein und es war, als wenn man mit einem Floß über einen
reißenden Strom fahren wollte: nahm man etwas mit, ging es unter. Und so
blieben alle Sorgen auf der anderen Seite, während man weiterging, ohne
zurückzuschauen, ohne zu überlegen. Es blieb einem ja keine Wahl.
Doch wenn sich das Jahr dem Ende neigte und man den Fluss
überschritt, damit sich die Welt wieder erneuern konnte, war er wieder da. Sie
spürte sein Kommen lange vor seiner Ankunft und doch hatte sie jedes Jahr
geglaubt, er hätte es nicht über den Fluss geschafft. Und es erzeugte den
Gefühlssturm in ihr, der wütete, bis sie wieder über den Fluss gegangen war.
Ein Sturm, der Freude und Leid in sich trug.
Suchend schaute sie in den Himmel, um ein Zeichen zu
finden oder Trost, was genau, wusste sie nicht. Und dann hörte sie ihn: „Hallo
Kleine!“, sprach er sanft. Sie drehte sich um und da stand er, unverändert und
doch blieb ihr Herz jedes Jahr bei seinem Antlitz stehen. Er hatte es
geschafft. Langsam zweifelte sie nicht mehr daran. Wunderschön stand er da und
war doch nur für sie sichtbar. „Geister gelangen nicht über den Fluss“, hatte
er ihr einst erzählt, „aber dein Herz baut immer eine Brücke über diesen Fluss,
sodass ich dir folgen kann. Zerstörst du die Brücke, bleibe ich zurück.“ Sie
hatte keine Ahnung, wie ihr Herz diese Brücke erschuf, doch jedes Mal erfüllte
sie das neue Jahr mit Angst, dass es diesmal nicht geschehen könnte. Und doch
stand er vor ihr wie jedes Jahr und dort, wo zuvor Trauer in ihrem Herzen
geherrscht hatte, bahnte sich ein Schwall des Glückes an, in dem sie innerlich
zu ertrinken schien.Beim Schreiben gehört: Knorkator - Liebeslied; ASP - Ungeschickte Liebesbriefe
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